Menschliches Leben vollzieht sich im Spannungsfeld der beiden Pole des Einatmens und Ausatmens. Normalerweise ereignen sich beide Aktionen ganz selbstverständlich und mit Leichtigkeit. Es gibt aber Beschwerden und Erkrankungen, bei denen der sanfte Fluss von Lufteinziehen und Luftausstrom empfindlich gestört ist. Zu ihnen gehört das Schnarchen.
Was passiert, wenn ein Mensch schnarcht? Auffälligstes Symptom ist ein Geräusch, das durch ein Flattern von Gaumensegel, Zäpfchen und gelegentlich auch von Zungengrund und Rachen während der Einatmung im Schlaf entsteht. Wenn ein Mensch einschläft, entspannt sich seine Muskulatur. Dies gilt auch für die Muskeln des Gaumen-Rachen-Raumes. Der Rachen ist eine unter Spannung stehende schlauchartige Röhre, die normalerweise kollabieren würde, aber von mehr als zwanzig Muskelpaaren offen gehalten wird. Lässt die Spannkraft dieser Muskeln während der Schlafens nach, fällt der Rachenschlauch ein wenig in sich zusammen. Durch den Druck bei der Ausatmung wird die Rachenröhre immer wieder geöffnet, bei der Einatmung fehlt jedoch dieser Druck. Es entstehen Luftturbulenzen, die das Rachen- und Gaumengewebe zum Flattern bringen. Der hintere Gaumen klatscht gegen die Rachenwand, was das charakteristische knatternde Schnarchgeräusch auslöst. Durch die wiederholten Kurzzeitverschlüsse der Atemwege beim Einatmen kann es zu einer Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff kommen. Das führt bei starken Schnarchern zu Weckreaktionen (Arousals), die einerseits lebenswichtig sind, andererseits den erholsamen Nachtschlaf beeinträchtigen. Die betroffenen Patienten reagieren mit Tagesmüdigkeit, Unausgeschlafenheit, körperlicher Erschöpfung und Konzentrationsstörungen.
Ein Sonderfall des nächtlichen Schnarchens ist die Schlafapnoe, die sich durch starke Geräuschentwicklung mit längeren Atemstillständen und nachfolgendem heftigen Luftschnappen bemerkbar macht. Diese schwere Art der Sauerstoffunterversorgung kann bei Betroffenen dramatische Formen annehmen; sie führt oft zu extremer Tagesschläfrigkeit mit gravierenden Belastungen im Privat- und Berufsleben.
Schnarchen und seine Extremform, die Schlafapnoe, ist also ist also primär eine Störung des Einatmungsprozesses. Während das Ausatmen weitgehend geräuschlos abläuft, ist sein Gegenpol, die Einatmung, von Lärm begleitet und durch Kurzzeitverschlüsse von Zunge und Gaumensegel blockiert.
Das gewöhnliche Schnarchen ist in den meisten Fällen weniger für den Schnarcher selbst als für seinen Partner ein akustisches Problem, das die Nachtruhe stört und damit die notwendige Erholung für den nächsten Tag verringert. Wenn keine organischen Ursachen wie Übergewicht, Nebenhöhlenentzündung oder ähnliches vorliegen, kann Schnarchen eine Form der Abgrenzung sein – ein unbewusster Versuch, sich während der Nacht die Anderen „vom Hals zu halten“. Da man mit seiner intensiven Geräuschproduktion das Leben für den Zimmergenossen recht unerträglich macht, kann Schnarchen einen tagsüber nicht eingestandenen Anspruch an Raum und Respekt zum Ausdruck bringen. Ins Schnarchen schwingt oft ein gestörtes Nähe- und Distanzverhältnis mit hinein, denn vor allem das Einatmen mit seiner Luftaufnahme steht in engem inneren Bezug zum Thema Nähe. Schwierigkeiten, sich tagsüber in zwischenmenschlichen Beziehungen ausreichend Gehör zu verschaffen, können dazu führen, dass der Betroffene wenigstens in der Nacht den Ton angeben will. Was er tagsüber nicht mitzuteilen wagt, drückt er in der Nacht auf ziemlich grobe Art aus. Es kann weiterhelfen, sich um eine deutlichere Kommunikation im zwischenmenschlichen Bereich zu bemühen. Hilfreich ist dabei eine Auseinandersetzung mit den Fragen: Wo lasse ich zu viel Nähe zu? In welchem Bereich möchte ich mich stärker abgrenzen? Wo fühle ich mich vereinnahmt oder bringe Gefühle von Ärger und Überforderung nicht ausreichend zum Ausdruck? Wer seine eigenen Bedürfnisse bewusster wahrnimmt, gegenüber Familienmitgliedern und Arbeitskollegen besser artikuliert und sich stärker abzugrenzen lernt, braucht sich nicht länger in der Nacht lautstark bemerkbar machen und seine Mitwelt, meist die Partnerin, durch Lärm in die Flucht treiben. Und sei es auch nur die Flucht aus dem gemeinsamen Schlafzimmer.
In der psychosomatischen Behandlung des Schnarchens geht es oft um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Unbewussten. Wer die Beschäftigung mit seinen bewusst nicht zugänglichen Seeleninhalten scheut, neigt dazu, im Schlaf tiefer abzusacken als es normal ist. Nach einer zu großen Anspannung über Tag ist die Erschlaffung in der Nacht besonders extrem – so stark, dass das Gaumensegel seinen normalen nächtlichen Muskeltonus verliert und auf die Zunge hinabsinkt. Dann wird die Einatmung zum Arbeiten gegen Widerstand. Das harmonische Zusammenspiel der Pole des Ein- und Ausatmens fällt aus dem Rhythmus. Tagsüber Verdrängtes, Ungesagtes verwandelt sich in der Nacht zu einem akustischen Dominanzanspruch. Eigene unbewusste Aggressionen – der Volksmund spricht nicht ohne Grund vom „Sägen“ – machen nun den Zimmergenossen aggressiv. Sofern äußere Ursachen für das Schnarchen, z. B. regelmäßiger abendlicher Alkoholkonsum, ausgeschlossen werden können, kann es hilfreich sein, eigene unharmonische Kommunikationsmuster erkennen zu lernen. Wer sich tagsüber gelegentlich lautere Töne gestattet, wird diese nicht länger in der Nacht anschlagen müssen. Chronische, hartnäckige Schnarcher, die ansonsten körperlich gesund sind, profitieren von einer mehrwöchigen bis mehrmonatigen Gesprächstherapie. Sie ist eine hilfreiche Unterstützung, um verdrängten Seeleninhalten auf die Spur zu kommen und einen besseren Zugang zum eigenen Unbewussten zu finden. Das ist ein längerer Prozess, aber er lohnt sich unbedingt – nicht nur für den Menschen, mit dem man das Schlafzimmer teilt!
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