Niedriger Blutdruck (Hypotonie)

„Aber was sich nun begibt, macht Frau Kümmel so betrübt, dass sie, wie vom Wahn umfächelt, ihre Augen schließt und lächelt. Mit dem Seufzerhauche: „U!“ stößt ihr eine Ohnmacht zu.“ Mit diesen Worten beschreibt Wilhelm Busch in „Plisch und Plum“ eine Situation, die vielen Menschen mit niedrigem Blutdruck allzu gut vertraut ist: das Schwarzwerden vor Augen. In Deutschland leiden etwa 2,5 Millionen Menschen an einer Krankheit, die eigentlich keine ist, sondern eher ein Komplex von Befindlichkeitsstörungen. Nur in deutschen Medizinbüchern werden die Symptome des niedrigen Blutdrucks als „Erkrankung“ behandelt. Im angelsächsischen Sprachraum, wo man die Hypotonie weit weniger ernst nimmt, spricht man deshalb von der „german disease“, der „deutschen Krankheit“.

Immerhin: Die Krankenkassen wissen zu berichten, dass die Behandlung der mit Blutniederdruck bedingten Beschwerden jährlich fast zwei Milliarden Euro kostet. Niedriger Blutdruck ist zwar nicht gefährlich, seine Beschwerden können Allgemeinbefinden und Leistungsfähigkeit jedoch stark einschränken oder wie der Volksmund sagt: „Mit niedrigem Blutdruck lebt sich´s schlecht, mit hohem Blutdruck stirbt sich´s gut.“ Ein kleiner Trost für Betroffene: Menschen, die unter Hypotonie leiden, haben in der Regel eine höhere Lebenserwartung, weil ihre Blutgefäße weniger gestresst werden. Außerdem: Wenige „Krankheiten“ lassen sich so gut und nachhaltig behandeln wie der Symptomenkomplex Hypotonie.

Niedriger Blutdruck – eine Definition

Von Hypotonie spricht man, wenn bei mehreren Blutdruckmessungen der systolische (obere) Blutdruckwert des Mannes unter 110 mmHg, der Frau unter 100 mmHg und der diastolische (untere) Blutdruckwert unter 60 mmHG liegt.

Den Druck des Blutes gegen die Arterienwände misst der Arzt oder Heilpraktiker mit Hilfe eines Messgerätes nach Riva/Rocci (RR), das aus einer aufblasbaren Gummimanschette besteht, die an ein Manometer angeschlossen ist. Der obere, sog. systolische Wert misst die Höhe des Blutdrucks, wenn das Herz sich zusammenzieht und Blut in die Gefäße pumpt. Er gibt damit den Druck während der aktiven Phase der Herzens an (griech.: systolé – das Zusammenziehen). Der untere, sog. diastolische Wert gibt den Blutdruckwert für die Phase an, in der das Herz mit Blut gefüllt wird und seine Wandmuskulatur erschlafft ist (griech.: diastolé – das Auseinanderziehen, Ausdehnen). Als normal gilt ein Blutdruck von systolisch 120 mmHg zu 80 mmHg. Liegt er bei Werten unter 110/100 zu 60, wird das Blut vom Herzen mit zu geringem Druck in das arterielle Gefäßsystem gepumpt. Man spricht von Hypotonie. Der medizinische Fachbegriff leitet sich von den griechischen Worten hypo – unter und tónos – Spannung ab und bedeutet frei übersetzt Spannungsmangel. Die fehlende Spannung ist dabei nicht nur im Gefäßsystem zu finden, sondern lässt sich nicht selten auch auf der seelischen Ebene beobachten: Hypotoniker leiden häufig unter Antriebsschwäche und depressiven Verstimmungen.

Niedriger Blutdruck: Symptome

Die klassischen Beschwerden einer Hypotonie gehen auf die Minderdurchblutung des Gehirns zurück und lassen sich als typische „Kopfsymptome“ bezeichnen: Im Vordergrund stehen Sehstörungen. Den Betroffenen wird „schwarz vor Augen“. Sie klagen über Schwindel, pulsierende Kopfschmerzen, Ohrensausen und Bewusstseinsstörungen, die von Benommenheitsgefühlen bis zu Ohnmacht gehen können. Die Schwächezustände aktivieren den Nervus sympathicus, der daraufhin eine sofortige Gegenregulation einleitet: Adrenalin wird ausgeschüttet und der Herzschlag beschleunigt sich, um den Blutmangel auszugleichen und das Gefäßsystem wieder ausreichend mit Blut zu versorgen. Auch Frösteln, Schweißausbrüche und leichte Panikgefühle gehen auf die Gegenregulation durch den Sympathikusnerven zurück.

Die Betroffenen merken ihre Beschwerden vor allem beim Aufstehen oder bei langem Sitzen und Stehen. Auch der Wechsel von kalten in warme Räume kann die Symptomatik auslösen. Menschen mit niedrigem Blutdruck leiden häufig unter einer Anlaufschwäche am Morgen („Morgenmuffel“), ferner unter Konzentrationsstörungen, Leistungsschwäche, Tagesschläfrigkeit, Lust- und Freudlosigkeit, erhöhter Rückzugstendenz und einem vermehrten Schlafbedürfnis. Typisch sind ferner die Neigung zum Frieren, Blässe des Gesichts sowie chronisch kalte Hände und Füße. Der „chronische Kaltfuß“ bei Frauen ist nahezu sprichwörtlich, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, dass Frauen sechs mal häufiger von niedrigem Blutdruck betroffen sind als Männer. Das gilt besonders für junge und schlanke Frauen. Bei ihnen ist niedriger Blutdruck konstitutionell bedingt und liegt in ihrer körperlichen Beschaffenheit begründet. Fülligere Personen leiden in der Regel seltener unter Hypotonie. Auch wenn Kinder und Jugendliche sehr schnell wachsen, kommt ihr Herz-Kreislauf-System manchmal nicht mit. Niedriger Blutdruck findet sich deshalb auch bei ihnen überdurchschnittlich häufig. Eine unkomplizierte Hypotonie ist ein typisches Beschwerdebild des jungen Menschen. Zur Lebensmitte hin wachsen sich die Symptome meist aus.

Bei Verdacht auf niedrigen Blutdruck reicht eine einzige Blutdruckmessung nicht aus, um die Diagnose zu bestätigen. Im Tagesverlauf ist der Blutdruck ständigen Schwankungen ausgesetzt, die tageszeit- und belastungsabhängig sind. Daher müssen zur Absicherung der Diagnose mehrere Messungen über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden. Fallen die Werte stets niedriger als 110 (Mann)/100 (Frau) zu 60 mmHg aus, kann mit großer Sicherheit von einer Hypotonie ausgegangen werden.

Niedriger Blutdruck: Ursachen

Bei der Hypotonie lassen sich zwei Formen unterscheiden:

Die sog. regulative Hypotonie ist ohne Krankheitswert. Sie tritt bei trainierten Sportlern auf, bei denen sich der Kreislauf unter Ruhebedingungen in einer Schonstellung befindet.

Bei der zweiten Form, der Hypotonie mit Krankheitswert, reichen die Kreislaufregulationsmechanismen sowohl unter Ruhe-, als auch unter Belastungsbedingungen nicht aus, um einen ausreichenden Blutdruck aufzubauen. In der Folge werden lebenswichtige Organe, vor allem das Gehirn, vorübergehend nur unzureichend mit Blut versorgt.

Bei der Hypotonie mit Krankheitswert unterscheidet man wiederum eine primäre von einer sekundären Form:

Die primäre Form ist gekennzeichnet durch einen Abfall des oberen Blutdruckwertes beim Stehen und einem Anstieg von unterem Blutdruckwert und Pulsfrequenz.

Bei der sekundären Form ist der niedrige Blutdruck keine eigenständige Erscheinung, sondern Symptom eines anderen Krankheitsbildes. Er kann hormonell bedingt sein und bei Erkrankungen der Schilddrüse, Nebennieren oder Hypophyse auftreten. Auch bei Verengung der Aorta, Herzklappenfehlern, Herzrhythmusstörungen, im Rahmen von Infektionserkrankungen oder als Nebenwirkung von Medikamenten (Psychopharmaka, Nitrate, Diuretika oder Mittel gegen Herzrhythmusstörungen) kann es zur niedrigem Blutdruck kommen. Die Symptome gehen im Allgemeinen zurück, wenn die Grunderkrankung erfolgreich behandelt worden ist bzw. das Medikament abgesetzt wird.

Niederdrucksymptome können auch durch Flüssigkeitsmangel auftreten, z. B. bei unzureichendem Trinken und starkem Schwitzen an heißen Sommertagen oder aufgrund anhaltender Durchfälle. Unerkannte chronische Blutungen im Magen-Darm-Trakt können das Blutvolumen des Kreislaufs ebenfalls mindern und hypotone Kreislaufstörungen auslösen.

Ein Sonderfall ist der niedrige Blutdruck in den ersten Schwangerschaftswochen. Er ist in der Regel harmlos und legt sich bald wieder. In seltenen Fällen kann er dazu führen, dass die Plazenta nicht ausreichend durchblutet wird. Schwangere sollten dennoch auf Medikamente verzichten und ihren Kreislauf eher durch Bewegung, Heilpflanzen und Kneipp´sche Anwendungen anregen. Manche schulmedizinische Hypotoniepräparate erhöhen zwar den Blutdruck, indem sie die Blutgefäße enger stellen, vermindern dadurch aber auch die Blut- und Nährstoffzufuhr für das Kind. In Einzelfällen kann die Unterversorgung des Embryos zu Wachstumsstörungen führen. Alternativmedizinische Maßnahmen sind häufig ebenso wirksam und tun nicht nur der Mutter, sondern auch dem Kind gut. Ein frühzeitiger Beginn der Schwangerschaftsgymnastik und das Tragen von Stützstrümpfen heben nicht nur den Blutdruck an, sondern beugen auch der Bildung von Krampfadern vor.

Niedriger Blutdruck: Praktische Tipps zur Selbstbehandlung

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Niedriger Blutdruck: Schulmedizinische Behandlungsmöglichkeiten

Wenn allgemeine Maßnahmen keinen Erfolg zeigen oder die Hypotonie Symptom einer anderen Erkrankung ist, kann der Arzt sog. Antihypotonika verschreiben, um geregelte Druck-Fluss-Verhältnisse wiederherzustellen. Dafür stehen mehrere Medikamentengruppen zur Verfügung, z. B. Präparate, die den Gefäßwiderstand erhöhen, das Schlagvolumen des Herzens oder die Pulsfrequenz steigern, den Rückfluss aus dem Venensystem anregen oder das Blut- und Flüssigkeitsvolumen erhöhen. Häufig eingesetzte Wirkstoffe sind z. B. Etilefrin, Norfenefrin, Dihydroergotamin oder Fludrocortison. Diese Substanzen können die Symptomatik verbessern, stellen aber keine wirkliche Ursachenbehandlung dar und sind überdies nicht frei von Nebenwirkungen. Setzt man sie nach einer gewissen Zeit wieder ab, kommen die Symptome des niedrigen Blutdrucks bald wieder zurück.

Bewegungs- und Ernährungstherapie sowie Naturheilmittel sind daher die bessere Alternative, wenn auch in einzelnen Fällen allopathische Präparate durchaus ihre Berechtigung haben. Es ist jedoch ratsam, erst dann auf sie zurückzugreifen, wenn alle anderen Behandlungsmöglichkeiten keinen Erfolg zeigen. Das wird bei konsequenter Anwendung jedoch unwahrscheinlich sein.

Niedriger Blutdruck: Seelische Ursachen?

Der psychosomatische Arzt Dr. Ruediger Dahlke weist darauf hin, dass die Neigung zu niedrigem Blutdruck vor allem bei Menschen zu finden ist, denen es schwer fällt, den „Lebenskampf“ aufzunehmen. So wie das Blut keinen Widerstand bei den Wänden der Blutgefäße findet und ihnen quasi ausweicht, geht auch der Hypotoniker nicht ganz an die Grenzen, an die er gehen könnte, wenn er im Vollbesitz seiner Kräfte wäre. So gesehen kann Hypotonie als körpersprachlicher Ausdruck für ein gewisses Ausweichen vor den Herausforderungen des Lebens verstanden werden. Betroffene neigen dazu, notwendigen Konflikten aus dem Weg zu gehen und sich zurückzuziehen. Jemand bekommt im wahrsten Sinne des Wortes „kalte Füße“ oder flüchtet sich, wie Frau Kümmel bei Wilhelm Busch, in die Ohnmacht, weil ihm die Situation zu brenzlig wird.

Die Lebensenergie (Blut) des Niederdruckpatienten fließt nicht schnell genug ins Zentrum (Herz) zurück, sondern bleibt in den Außenbezirken hängen. Er fühlt sich den Herausforderungen seines Alltags gegenüber ohnmächtig und bevorzugt ein Leben ohne Spannung, also hypo-ton. Niedriger Blutdruck ist bei vielen Menschen tatsächlich mit einer erhöhten Rückzugstendenz und Neigung zu depressiven Verstimmungen verbunden. Die Betroffenen fühlen sich mancher familiären oder beruflichen Situation nicht gewachsen und weichen ihr aus. Die Spannungslosigkeit und Schwäche auf der körperlichen Ebene ist häufig verbunden mit einer enormen seelischen Anspannung, unter der eine konkrete Lebenssituation die Betroffenen setzt. Sie tun sich schwer, Verantwortung zu übernehmen.

Hypotoniker waren häufig stille und gehorsame Kinder und haben nicht selten in jungen Jahren Verlust- und Trennungserlebnisse erfahren müssen, die sich hemmend auf ihre innere Entwicklung ausgewirkt haben. Zum Erwachsenwerden gehört auch die Aufgabe, sich „an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen“. Wem es gelingt, das Leben anzupacken und sich selbst zu fordern, wird seine Blutdruckprobleme bald hinter sich haben. Wenn jedoch schwere seelische Belastungen im Hintergrund stehen, die vom Betroffenen als übermächtig erlebt werden, ist eine Psychotherapie oft ein guter Weg, um dem Leben wieder kraftvoll begegnen zu lernen.

© Margret Rupprecht

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