Kamille – Matricaria chamomilla

„Blau ist die einzige Farbe, bei der ich mich wohl fühle“, schrieb vor hundert Jahren der Maler Franz Marc, ein Mitbegründer der Künstlergruppe „Blauer Reiter“. Lange bevor Farbwirkungen psychologisch erforscht wurden, haben Künstler Kraft und Wirkung von Farben intuitiv erfasst.

Was haben diese Beobachtungen mit der Heilpflanze Kamille zu tun? Viel! Denn das Wesen der Kamille lässt sich über mehrere Wege erschließen. Einen besonderen Zugang findet man über die Farbe ihres tiefblauen ätherischen Öls. Sein Hauptwirkstoff, das Azulen, ist ein ungesättigter Kohlenwasserstoff von eindrucksvollem Blauton. Interessant ist die Übereinstimmung der Farbwirkung von Blau mit dem Heilpflanzenwesen der Kamille: Sanftheit und Beruhigung ist in beiden Fällen das zentrale Thema.

Aus der Farbtherapie und Farbpunktur ist Blau seit langem als Farbe für Ruhe und Unendlichkeit bekannt. Blau gilt als kalt, jedoch nicht in einem schädigenden, sondern in einem entspannenden Sinn. Kühlung von hitzigen Prozessen ist sein Thema. Mit Blau lässt sich bei eitrigen Prozessen, Schmerzen, Krämpfen und Blutfülle erfolgreich therapieren. Blau reguliert die Kontraktion der Muskeln, Bänder und Gewebe. Unruhige Kinder können sich besser auf ihre Hausaufgaben konzentrieren, wenn das Licht im Zimmer einen hohen Blauanteil enthält.

Interessanterweise gibt es auch einen sprachgeschichtlichen Zusammenhang zwischen dem botanischen Namen der Kamille, Matricaria chamomilla, und der Farbe Blau.
Blau ist die Farbe des Ozeans im strahlenden Sonnenlicht. Lateinisch mare = Meer als dem Ort, aus dem alles Leben entsprungen ist, steht sprachlich in engem Zusammenhang mit den lateinischen Begriffen mater = Mutter und materia = Urstoff, Nahrung.
Die Kamille hat ihren botanischen Namen Matricaria wohl auch deshalb erhalten, weil sie als besänftigende und mütterlich-beruhigende Heilpflanze empfunden wurde.

Kamille: Eine fürsorgliche Heilpflanze

„Ihre Tugend ist, weich zu machen und zu sänfftigen,“ schreibt der Arzt Adamus Lonicerus in seinem Kreuterbuch aus dem Jahre 1582 über die Kamille. Die Pflanze wirkt auf einen Menschen in der Art liebevoller mütterlicher Zuwendung. Geborgenheit, Sanftmut und Geduld sind ihre großen Themen. Kamille vermittelt ein Gefühl des Aufgehobenseins, wenn übersteigerte Sinnesempfindungen oder Krampfzustände einen Menschen belasten und bedrücken. Ein Mensch, der sich in dieser Existenz nicht genug aufgehoben fühlt, ist empfindlich, angreifbar, gereizt und reagiert auf körperlicher und seelischer Ebene mit überschießenden Prozessen. Hier wirkt die Kamille sanft beruhigend. Sie lindert Entzündungen und entspannt die Muskulatur. Auf der seelischen Ebene reduziert sie Ärger und Ungeduld.

Es ist eher ungewöhnlich, eine Heilpflanze wie die Kamille auch in Hinsicht auf ihre Wirkungen auf die Psyche zu betrachten. Doch wie das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, geht auch eine Heilpflanzenwirkung für denjenigen, der fein zu beobachten versteht, über die Wirkung ihrer pharmazeutischen Inhaltsstoffe weit hinaus. Volkstümliche Bezeichnungen der Pflanze wie Mutterkraut und Mutterblume weisen ebenso auf die mütterlich-besänftigende Wirkung der Kamille hin wie der sprachgeschichtliche Zusammenhang zwischen Mater und Matricaria chamomilla.

Kamille: Die Pflanzengestalt erzählt von der Wirkung

Der Zusammenhang zwischen Wesen, Wirkung und Pflanzengestalt lässt sich am Beispiel der Kamille sehr gut veranschaulichen:

Der Blütenkranz der Kamille ist von leuchtendem Weiß und die hohe Blütenscheibe wölbt sich hellgelb nach oben. Die Blüte strahlt Lichtheit und Freundlichkeit aus. Ein weiteres wichtiges Merkmal sind die Kamillenblätter. Sie sind nicht flächig, sondern stielartig gestaltet. Ihr Bau ist linienförmig, so dass sie wie kleine Antennen wirken. Man hat den Eindruck, bei den Blättern seien nur die „Blattnerven“ stehen geblieben. Die Pflanze strahlt über ihre luftige Fiederung eine besondere Art von Sensitivität aus, als wenn sie dafür gebaut wurde, atmosphärische Schwingungen aufzunehmen. Sie erinnert an Empfänglichkeit und Aufnahmebereitschaft, ohne deshalb zerbrechlich oder „nervös“ zu wirken. Das wird von den im Vergleich zu den Blättern recht kräftigen Stängeln verhindert.

Wie sehr Dämpfung und Abfederung das Prinzip der Kamille sind, wird besonders an einem dritten Merkmal erkennbar, wenn man den Blütenboden in der Mitte von oben nach unten aufschneidet: Im Laufe der Blütezeit wölbt sich der Blütenboden stark nach oben. Im Inneren seiner zylindrischen Form befindet sich ein luftgefüllter Hohlraum, der quasi einen „Lufttropfen“ enthält und lebhaft an ein Luftkissen erinnert. Hier entsteht der Eindruck, es sei Aufgabe des Blüteninneren, alle Schläge und Erschütterungen kissenartig abzufangen und ihnen ihre Härte zu nehmen. Das Heftige zu mildern, ist eine zentrale Fähigkeit der Kamille. Nicht umsonst gilt diese Pflanze als „Mutter“ aller einheimischen Heilpflanzen. Es wird wohl kaum einen Haushalt geben, in dessen Küche kein Kamillentee zu finden ist. Die meisten Menschen assoziieren den Kamillentee mit der eigenen Kindheit, mit Bauchschmerzen oder einem verdorbenen Magen, mit einer umsorgenden Mutter, Bettruhe und Schonung. Kamille ist ein Symbol für sanfte Fürsorge, Geborgenheit und Aufgehobensein.

Die Kamille ist eine Allerweltspflanze – glaubt man, wird ihrer wahren Größe damit aber nicht gerecht. Zahlreiche Naturheilmittelhersteller haben Kamillenzubereitungen im Angebot: Urtinkturen, Fluidextrakte, Badezusätze oder Lutschtabletten, um die Heilpflanze zur innerlichen Einnahme, für Rollkuren und Bäder, zum Gurgeln, als Umschlag oder Wickel einzusetzen. Jede dieser Zubereitungsformen hat ihren Wert und ihre Wirkung.

Kamille in der Medizingeschichte

In der Antike wurde der Kamillentee von Galen und Asklepios ausführlich besprochen und gerühmt. In Nordeuropa hat man die Kamille aufgrund ihrer gelben Blütenscheibe mit der Sonne verglichen. Sie war daher dem Sonnengott Baldur heilig. Ihre Heilkraft galt als so außerordentlich, dass man glaubte, sie nur neben eine andere kranke Pflanze stellen zu müssen, damit diese wieder neue Lebenskraft erhält. Die Verwendung der Kamille hat sich von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit kaum geändert.

Paracelsus setzte die Kamille bei Kopf- und Bauchschmerzen, Gelbsucht, Fieber und Krebserkrankungen ein. Äußerlich verwendete er sie zum Reinigen von Geschwüren. Bock schrieb 1565 in seinem „Kreuterbuch“: „Es ist bey allen Menschen kein breuchlicher Kraut in der Artzney als eben Chamillenblumen, denn sie werden beinahe zu allen bresten gebraucht.“ Wie groß die therapeutische Bandbreite der Kamille von jeher ist, zeigt ein Blick in das „New-Kreuterbuch“ des Matthiolus aus dem Jahre 1626. Als Indikationen führt er auf: Menstruationsstockungen, Harnsteine, Blähungen, Magenerkältung, Schmerzen in Magen, Därmen, Niere, Blase und Gebärmutter, innere Geschwülste, Leber- und Milzverstopfung, Gelbsucht, Asthma, Lungenabszess, Epilepsie, Darmkoliken und Kröpfe. Äußerlich wendete er sie bei Geschwüren und Geschwülsten, alten Wunden, Hämorrhoiden und entzündeten Augen an. Das Kamillenöl „dienet sonderlich wol wider den Krampff“ als erweichendes und linderndes Mittel. Der Pharmakologe Henrici fasste die Heilpflanzenwirkungen der Kamille im Jahre 1894 unter vier Punkten zusammen: 1. Schmerzhafte Menstruation und Frauenkrankheiten, 2. Magenkrämpfe und Darmkoliken, 3. Nerven- und Wechselfieber, 4. Äußerlich gegen faulende Geschwüre.

Kamille: Praktische Tipps zur Selbstbehandlung

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© Margret Rupprecht

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