Manchmal sieht es putzig aus, wenn das Auge einer süßen Zweijährigen nicht dorthin schaut, wo es hinschauen soll, sondern irgendwie seitwärts auswitscht. Schielen ist allerdings eine ernstzunehmende Krankheit und braucht eine frühzeitige augenärztliche Behandlung, damit das Kind auf dem betroffenen Auge nicht seine Sehfähigkeit einbüßt.
Ihre Augen schauen kreuz und quer und können sich manchmal nur mit Mühe gleichzeitig auf einen Punkt konzentrieren: Etwa sechs von hundert Kindern schielen (Strabismus). Das Phänomen kann sehr auffällig sein, es gibt aber auch Kinder, bei denen der „Silberblick“ nur gelegentlich, z. B. unter Stress, auftritt, was die Diagnose schwieriger macht. Damit der Sehfehler nicht chronisch wird und sich bis ins Erwachsenenalter hinein fortsetzt, ist es ratsam, jedes Kind noch vor dem vierten Lebensjahr von einem Augenarzt untersuchen zu lassen. Denn zwei schielende Augen schicken zwei stark unterschiedliche Bilder ins Gehirn. Damit der Betroffene nicht ständig Doppelbilder sieht, muss sein Sehzentrum eines der Bilder ausschalten. Räumliches Sehen wird dadurch sehr erschwert.
Bis zum Alter von acht Wochen ist es normal, wenn sich die Augen eines Säuglings unabhängig voneinander bewegen und sich noch nicht parallel auf einen gemeinsamen Fixpunkt ausrichten können. Es braucht Zeit, bis ein Säugling gelernt hat, beide Augen gleichzeitig auf dasselbe Objekt zu richten. Ab dem dritten Lebensmonat sollte ein Baby diesen Lernschritt allerdings bewältigt haben. Doch nicht wenige Kinder haben damit Schwierigkeiten. Bei manchen kommt erschwerend eine Kurz- oder Weitsichtigkeit hinzu. Objekte, die nur verschwommen wahrgenommen werden, kann man schwer fokussieren. Mit dem stärkeren Auge gelingt es, das schwächere driftet ab. Manchmal entwickelt sich Schielen auch erst nach einer Infektionskrankheit, wenn Bakteriengifte den Linsenmuskel angegriffen haben oder das Gehirn derart beeinträchtigen, dass es die zwei gesehenen Bilder nicht mehr überein bringt. Es nimmt zur Kenntnis, was das gesunde Auge sieht; die Informationen des schwächeren Auges werden nicht richtig aufgenommen und verarbeitet.
Es gibt viele Ursachen für einen Silberblick: Sie reichen von Vererbung (60 %) über Rauchen der Mutter in der Schwangerschaft bis hin zu Geburtstraumen, Kinderkrankheiten, Zahndurchbrüchen und Schädelverletzungen.
Schon Hippokrates schrieb vor zweieinhalbtausend Jahren: „Schielende werden von Schielenden gezeugt“. Schielen muss dabei allerdings nicht immer genetische Ursachen haben, sondern kann auch mit dem Vererben von bestimmten, über Generationen in einer Familie gepflegten Verhaltensmustern zu tun haben – insbesondere im Umgang mit Gefühlen.
Mit dem Fortschreiten der Psychosomatischen Medizin hat man erkannt, dass Schielen beim Kleinkind auch seelische Hintergründe besitzen kann. Emotionale Erfahrungen in der frühen Kindheit können entscheidend zur Entwicklung einer Fehlsichtigkeit beitragen. Hier ist ein Blick auf kulturelle Unterschiede interessant: In Japan sind fünfzig Prozent der Frauen kurzsichtig. Ihre Kultur verlangt von ihnen, dass sie ihre spontanen emotionalen Reaktionen unterdrücken und stattdessen stets Höflichkeit und Zurückhaltung zeigen. Südamerikanerinnen haben dagegen ein offenes und fröhliches Temperament. Lebhafte emotionale Reaktionen sind für sie normal. Kurzsichtig sind bei ihnen nur zwei Prozent.
Neugeborene begreifen Spannungen und Dysbalancen in ihrer Familie intuitiv – und reagieren entsprechend. Doch Säuglinge können noch nicht verbal zum Ausdruck bringen, welche Schwierigkeiten es ihnen bereitet, unterschiedliche Botschaften ihrer Eltern zu einem Bild zu vereinen. So übernimmt ihr Körper, d. h. ihre Augen, eine Indikatorfunktion für die innere Zerrissenheit des Babys. Schielen findet man nicht selten bei Kindern, deren Eltern sich schwer tun, ihre Konflikte zu lösen. Babys möchten Mutter und Vater als Fixpunkt und als untrennbare Einheit erleben, spüren aber: Der eine Elternteil strebt hierhin, der andere dorthin. Manchmal fühlen sie sich von einem Elternteil nicht wirklich angenommen. Dann lösen sie für sich das Problem, indem sie quasi an diesem „vorbeischauen“ und ihr stärkeres Auge auf den Elternteil richten, der ihnen emotional näher steht und dessen Verhalten sie besser einordnen können.
Schielen ist in solchen Fällen körpersprachlicher Ausdruck einer Spaltung. Diese kann auch darin bestehen, dass das Kleinkind die Anforderungen seiner Eltern und seine eigenen Bedürfnisse nicht überein zu bringen versteht. Die innere Zerrissenheit offenbart sich an den Augen: das eine ist „folgsam“ und schaut auf den Punkt, den es anschauen soll – das andere erlaubt sich die Freiheit, vom Weg abzukommen und dorthin zu gehen, wo es selber hingehen will. Übrigens gilt das rechte Auge als „Vaterauge“, das linke als „Mutterauge“. Wenn Kinder mit dem rechten Auge immer wieder abdriften, kann es hilfreich sein, wenn sich der Vater stärker mit dem Kind beschäftigt und sensibler auf die kindlichen Bedürfnisse einzugehen lernt.
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